MichaNina Natur FP30 Jahre Mauerfall
Ein Jahrzehnt hat Michael Barth gebraucht, bis er seine Stasi-Akte anforderte. Danach wusste der Musiker, dass er und seine Mitstreiter der Gruppe Wanderer für die Staatssicherheit ein "Operativer Vorgang" waren. Dabei, sagt er, waren andere Künstler viel mutiger.
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Michael Barth ist gern mit Hündin Nina unterwegs. Neben der Musik bezeichnet der 67-Jährige seine Liebe zur Natur als zweites Hobby.


Auerbach
Er erinnert sich noch gut an den Abend im Herbst 89, als er seine Abschlussarbeit im Fach Kulturpolitik schrieb - "da marschierten sie draußen mit Transparenten vorbei". Den Mauerfall erlebte er im heimischen Auerbach auf dem Sofa. Im Fernsehen erlebte er jene Pressekonferenz mit, auf der Politbüro-Mitglied Günter Schabowski die Öffnung der DDR-Grenzen erklärte. Da habe er "erst einmal bissl gehorcht". Und dann gesagt "Gott sei Dank."

Die nächsten Tage sei die Maueröffnung das bestimmende Thema gewesen: in der Auerbacher Kellerfabrik, wo er arbeitete, beim Studium in Zwickau und auch im Schweißerlehrgang, den er gerade besuchte. "Der November 89 war für mich wie eine Zeitreise", sagt er heute. Zu diesem Zeitpunkt waren die Wanderer schon reichlich drei Jahre lang ein sogenannter OV, ein Operativer Vorgang, der Staatssicherheit. Das erfuhr er aber erst zehn Jahre später, nachdem er seine Stasi-Akte angefordert hatte. Warum so spät? "Ich weiß es ehrlich gesagt nicht", sagt er. "Vielleicht, weil ich erst mal andere Sachen zu tun hatte." Mit der Akte hielt er schwarz auf weiß in den Händen, was die Band spätestens seit ihrem Auftritt beim Kirchenfestival "June 78" in Rudolstadt - einer Art "Woodstock des Ostens" - geahnt hatte: Sie standen im Visier der Stasi. Allerdings war ihm bis zu seiner Akteneinsicht nicht klar, wie aufwendig da operiert wurde: Es gab nicht nur Mitschnitte von Konzerten und eine Auflistung aller seiner Texte, sondern beispielsweise auch ein Protokoll zu einer Begehung ihres Probenraums durch eine Abteilung, die für Abhörtechnik zuständig war. Man habe Auflagen gehabt, aber nie ein Auftrittsverbot, sagt Michael Barth. Was er vor allem darauf zurückführt, dass die Texte eher "zwischen den Zeilen" kritisch waren und auch Reinhard Greim seine Ansagen "sehr gut hingekriegt hat". Die seien so formuliert gewesen, dass man ihnen nichts anhaben konnte, "das Publikum aber wusste, was gemeint war". Eigentlich sei man gar nicht so mutig gewesen, findet er heute. Da hätten andere viel mehr riskiert, die Klaus-Renft-Combo und insbesondere deren Texter Gerulf Pannach beispielsweise.7013054 M650x433

Umso geschockter war Barth, dass die Wanderer auf einer Liste für ein Internierungslager standen. "Ich habe erst nach der Wende erfahren, was für ein toller Widerstandskämpfer ich war", sagt er und zeigt ein Schreiben aus seiner Akte. "... teilen wir Ihnen mit, das der B. in einem OV nach den §§ 106, 220 StGB bearbeitet wird. Er gehört der Musikformation ,Wanderer' an. Die Bearbeitung erfolgt aufgrund des Auftretens dieser Gruppe, die durch ihre Titel und Aussagen die staatliche Ordnung öffentlich herabwürdigt, die Maßnahmen des sozialistischen Staates bezüglich des Umweltschutzes verächtlich macht und die Jugendlichen aufputscht. Desweiteren wird pazifistisches Gedankengut verbreitet." Formuliert hat den Brief im Juli 1986 der Leiter der Stasi-Kreisdienststelle Stollberg, Adressat ist eine andere Kreisdienststelle.

Barth ist überzeugt, dass es ohne die Wende "schlimm geworden wäre". Für ihn sei der politische Umbruch eine Befreiung gewesen. Diesen, aber auch seinen eigenen beruflichen Neuanfang bezeichnet er als Erfolgsgeschichte. Seit nunmehr 27Jahren unterrichtet Michael Barth an der Kreismusikschule in Stollberg, hat aus seiner Berufung den Beruf gemacht. Auf der Bühne steht er immer noch, aber die Auftritte - unter anderem mit Schluckauf und Teachers Swing - sind seltener geworden. "Das ist nur noch zum Spaß, da geht es nicht mehr ums Geld verdienen." Seit 2004 ist auch Wanderer wieder zu erleben, allerdings nur wenige Male im Jahr. Am 16. November ist es wieder einmal so weit, in Pockau-Lengefeld.